Praxisbeispiel: Erhöhung des Frauenanteils in typischen Männerberufen

Frauen gehören ganz nach vorn!

Es liegt nahe, mit der Werbung fragen: "Wer hat's erfunden?" Die Verkehrsbetriebe Zürich mit ihrem Personalchef Jörg Buckmann (blogt auch selber: http://bit.ly/OGhN9X) an der Spitze sind zwar sehr innovativ, aber daran waren sie nicht beteiligt. Hier und heute geht es um das Thema " Warum und wie die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) für ihre Tramcockpits Frauen in den Rekrutierungsfokus nehmen – und damit den Anteil Frauen bei den Neuanstellungen in einer typischen Männerdomäne glatt verdoppeln".



Die VBZ machen mal wieder alles ein bisschen anders. Nachdem ihr konsequenter Einsatz von Jobvideos in Stellenanzeigen (Motto: "Ihr Chef bewirbt sich bei Ihnen" schon für Furore sorgen, beweisen die VBZ nun, dass Personalwerbung für Frauen durchaus Spass machen kann. Die VBZ zeigt wie man ohne Quotenregelungen, ohne spezielle Mentoringprogramme und andere unnötige Stützräder der so genannten Frauenförderung dem geringen Frauenanteil in einer jahrzehntealten Männerdomäne erfolgreich den Kampf ansagt.

Die Herausforderung

Kurz zu den VBZ: Die VBZ-Fahrzeuge fahren 20 Stunden pro Tag, 7 Tage die Woche und am Wochenende sogar durchgehend. Pro Tag werden 800.000 Fahrgäste befördert. Dafür arbeiten 2.400 Mitarbeitende, davon 1.400 Fahrerinnen und Fahrer. Jedes Jahr kommen 200 MitarbeiterInnen neu dazu. Die Aufgabenstellung für die nächsten Jahre ist daher eindeutig: vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und der (erfreulichen) Entwicklung, dass der ÖPNV immer weiter ausgebaut wird, muss das Personalmanagement dafür sorgen, dass genügend und geeignete neue Mitarbeiter eingestellt werden.

Der Arbeitsmarkt in der Schweiz: Es werden über 4.7 Mio Erwerbstätige gezählt, davon sind 45.1% Frauen, welche überdurchschnittlich stark berufstätig sind. Im VBZ-Rekrutierungsgebiet arbeiten 1.6 Millionen Menschen, davon 720.000 Frauen, ca. 300.000 von ihnen in Vollzeit. Für die Herausforderung der VBZ besteht hier somit grosses und bisher ungenutztes Potential.  Ein Blick in den Bereich Tram, in welchem derzeit die meisten neuen Mitarbeiterinnen gesucht werden, konkretisiert das Dilemma. Bei den VBZ sitzt nur gerade in jeder fünften Tram eine Frau (21%). In einem normalen Jahr bewerben sich rund 1000 Personen um eine Arbeitsstelle in einem der VBZ Trams. Gerade einmal 16% der Bewerbungen stammen von einer Frau. Bei den Anstellungen hingegen waren 2010 fast 30% Frauen. Die Zahlen belegen, dass die Bewerbungen von Frauen qualitativ doppelt so gut sind wie jene von Männern. Bei den Bewerberinnen ist jede Neunte für das Tramfahren geeignet, bei den Bewerbern jeder Fünfundzwanzigste. Es liegt somit auf der Hand, dass es den VBZ besser gelingen muss, Frauen für den Beruf als Tramführerin anzusprechen und zu begeistern, die Ansprache von Frauen in der Personalwerbung ist in hohem Masse effektiv.

VBZ-Personalwerbung speziell für Frauen

Die bisherigen Erkenntnisse zeigen es: die VBZ müssen Frauen konkreter und spezieller ansprechen und entwickelten die Personalmarketing-Kampagne 'Frauen gehören ganz nach vorn' für den Bereich Betrieb Tram, da hier derzeit der dringendste und höchste Personalbedarf besteht (70 Stellen im Jahr 2011 und über 50 Stellen im Jahr 2012), so dass es für die VBZ vor dem Hin-tergrund des ausgetrockneten Zürcher Arbeitsmarkt unumgänglich ist, neue Rekrutierungswege zu gehen und eine erweiterte Zielgruppe anzusprechen.

Die Ziele

Die Ziele sind unternehmensweit formuliert - nicht nur für den Bereich Tram - da mit der Kampagne zwar konkret der Bereich Tram beworben wird, mit dem gewünschten Ergebnis werden aber Frauen in verschiedenen Berufen erreicht (und auch weiterhin Männer) sowie das Image der VBZ langfristig geändert.

  •  Die VBZ als interessanten Arbeitgeber mit vielen spannenden Berufen für Frauen positionieren.
  •  Den Frauenanteil bei den VBZ bis 2015 auf 20 Prozent steigern.
  •  Der Anteil an Bewerbungen von Frauen als Tramführerin von 16 auf mindestens 25 Prozent steigern.
  •  Bei Neuanstellungen im Tram einen Frauenanteil von 35 Prozent erreichen.

Um diese sportliche Ziele zu erreichen, wurde eine klare Personalmarketingstrategie mit vier miteinander vernetzten Handlungssträngen entwickelt:


Was haben die VBZ mit 'Frauen gehören ganz nach vorn' erreicht?

Quick wins…

  •  Deutlich vermehrte Anfrage von Frauen.
  •  Sympathiegewinn in der Bevölkerung und Stärkung des positiven Arbeitgeberimages.
  • Verdoppelung der Zugriffe auf das Jobvideo “Tram“ auf rund 400/Tag.
  • Riesige Medienwirkung durch Pressekonferenz mit einem Werbewert von 120‘000 Euro.
  •  Informationsveranstaltung am Samstag mit fast 100 Besucherinnen.

…und die ersten messbaren Ergebnisse nach einem halben Jahr:

  • Die Kampagne löste eine hohe Nachfrage aus - auch bei Männern. In den letzten 6 Monaten gingen 1.000 Bewerbungen ein (normal: ca 1000 pro Jahr).
  • Mit den vielen interessanten Bewerbungen kann der Bedarf im Bereich Tram für das laufende Jahr gedeckt werden.
  • Der Anteil Frauen bei den 1000 Bewerbungen für die Berufe im Tram konnte beinahe verdoppelt werden, von 16% auf 30%.
  • 40% aller neu angestellten Tramführenden sind weiblich (16 von 40).  Der Frauenteil bei den 650 Tramführenden beträgt aktuell 21%...

Wie haben die VBZ die Erfolge erreicht? - Die Idee

Personalwerbung für Frauen ist oft langweilig und spricht die Zielgruppe kaum an. Oder kann Sie etwa der "bei-gleichwertigen-Bewerbungen-bevorzugen-wir-aus-Gründen-der-ausgewogenen-Teamzusammensetzung-Kandidaturen-von-Frauen-Groove" überzeugen?
Die VBZ wollen selbstbewusste Frauen – wie gewohnt – mit Humor (und selbstverständlich auch weiterhin die Männer mit einem Augenzwinkern) ansprechen.

Also:
Die VBZ wollten verhindern, dass Frauen die freien Stellen der VBZ übersehen. Das nehmen die VBZ wörtlich und sprechen die Frauen mit einer frischen Kampagne überproportional an.

Die Umsetzung

Das Personalmanagement lancierte im August 2011 eine „gross-klein-Kampagne“ und setzte dabei auf den beim Zürcher Unternehmen bewährten Marketing-Mix von altbekannten (und erfolgreichen) Werbemitteln und innovativen Kanälen.
Ganz klassisch: Werbetafeln an stark frequentierten Standorten (die grossen VBZ Umsteigeknotenpunkte sind wie gemacht dafür).



Bild: Text grosse Tafel 'Gesucht: Tramführerinnen'.


Bild:Text kleine Tafel 'Gesucht: Tramführer'.

 

Bild: Printinserate im Redaktionsteil der meistgelesenen Gratiszeitung Zürichs

Wie geht es weiter?

Mit dieser einen Kampagne ist es nicht getan. Die VBZ wollen und müssen weiterhin dran bleiben, denn das Image der VBZ bei den Frauen und deren Wahrnehmung ändert sich nicht von heute auf morgen - Durchhalten ist die Devise, der Erfolg soll langfristig wirksam sein.
Daher läuft derzeit die Fortsetzung der Kampagne in Form eines Tramführerinnen-Blogs. Eine Bloggerin begleitet eine der neu angestellten und angehenden Tramführerin seit Anfang April bei ihrer Ausbildung und gibt damit einen Einblick hinter die Kulissen, in Emotionen und spannende Situationen. Der Blog wird über die VBZ eigene Quartierplattform www.westnetz.ch und die VBZ Social Media Kanäle, insbesondere Facebook, verbreitet.

Wie versuchen Sie in Ihren Unternehmen die Frauenquote zu erhöhen? Haben Sie positive oder negative Beispiele?

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Schöne Grüße

Wolfgang Brickwedde