aus dgfp.de vom 14.2.2011:

Dem Fachkräftemangel entgegen steuern:

"Verdreifachen Sie den Talent-Pool!"

Interview mit Wolfgang Brickwedde, Institute for Competitive Recruiting, Heidelberg

Wie verdreifacht man den Talent-Pool? Das Thema Fachkräftemangel beschäftigt das Personalmanagement gedanklich schon seit Jahren. Geschehen ist seit dem auf breiter Ebene nicht viel oder zumindest nicht genug. Warum es höchste Zeit wird, das Thema massiv anzugehen, und was Personalmanager schon jetzt tun können, um die entstehenden Talentlücken auch in den nächsten Jahren schließen zu können  – darüber unterhielten wir uns mit Wolfgang Brickwedde, Leiter des Institute for Competitive Recruiting (ICR) und Moderator des Recruiting-Forums in der von der DGFP betreuten XING-Gruppe Personalmanagement & Führung.

? Bitte stellen Sie sich und das ICR unseren Lesern kurz vor.

Wolfgang Brickwedde: Als Personalmanager bei Philips war ich neun Jahre lang u.a. für Rekrutierung und Personalmarketing in der DACH-Region und Nordeuropa zuständig; anschließend bei SAP ca. drei Jahre lang verantwortlich für internationale Rekrutierung in Europa, im nahen Osten und in Afrika. Das hieß jährlich 6.000 bis 8.000 Stellen zu besetzen. Dabei ist mir aufgefallen, dass uns die USA, Großbritannien und die Niederlande in puncto Rekrutierung rund fünf Jahre voraus sind. Das betrifft sowohl das Selbstverständnis der Recruiter als maßgeblicher Faktor für unternehmerischen Erfolg, als auch Innovationen bei den Rekrutierungsabläufen und dem Vorhandensein von entsprechenden Dienstleistern. Mein Ziel ist es, dazu beizutragen, das Recruitment in Deutschland zu verbessern. Daher habe ich 2009 das Institute for Competitive Recruitment gegründet, das durch Beratung Unternehmen bei Recruitment und Employer Branding dahingehend unterstützt, dass diese wettbewerbsfähig werden oder bleiben.

? Welche Rolle spielt das Thema Fachkräftemangel für Ihre Arbeit und Ihr Institut?

Wolfgang Brickwedde: Der Fachkräftemangel hat einen wesentlichen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Oder positiver ausgedrückt: Talente stellen für Unternehmen einen nicht kopierbaren Vorteil im Wettbewerb dar. Das Ziel des ICR ist es, Unternehmen wettbewerbsfähig zu machen oder zu halten im Wettbewerb um Talente. Der jetzt schon zu spürende Fachkräftemangel bedroht die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Hier Lösungswege für einzelne Unternehmen aufzuzeigen, ist integraler Bestandteil des Leistungsportfolios des ICR.

? Wie beurteilen Sie die Behandlung dieses Themas in der allgemeinen sowie in der Fachpresse sowie in der Welt des Personalmanagements?

Wolfgang Brickwedde: Eigene, aktuelle Studien des ICR zeigen, dass der Aufbau von Personal  bereits in diesem Jahr unter den "Top 3" der wichtiger gewordenen Themen steht. Gleichzeitig hat fast die Hälfte der Unternehmen 2011 deutliche oder große Schwierigkeiten, die offenen Stellen zu besetzen. Nach den Gründen für die Probleme gefragt, geben fast 80% der Befragten den Fachkräftemangel an. Insofern spiegelt die Behandlung des Themas in der allgemeinen und Fachpresse durchaus die Nöte der Unternehmen wider.

? Wird das Thema in den Medien zu sehr „aufgebauscht“ oder handelt es sich wirklich um so ein bedrohliches Szenario, wie es in vielen Medien und auch von Vertretern des Personalmanagements selbst gezeichnet wird?

Wolfgang Brickwedde: Wir haben momentan die Situation, dass - da die Wirkungszeiten der zu treffenden Maßnahmen teils relativ lang sind -  die Warnung gar nicht laut genug sein kann, damit die intellektuelle Erkenntnis auch mit dem nötigen "Leidensdruck" unterlegt wird. Zurzeit ist der Leidensdruck in vielen Unternehmen noch nicht stark genug, um intensiv an Lösungsmöglichkeiten zu arbeiten und die dafür nötigen Investitionen zu tätigen. Immerhin wird die Thematik zunehmend ernst genommen und ist in nicht wenigen Unternehmen bereits zur Chefsache auf Vorstandsebene erklärt worden. Und das ist gut so. Denn diejenigen Unternehmen, die sich der Herausforderung nicht spätestens jetzt annehmen, erhalten in spätestens fünf Jahren die erste Quittung dafür: Derart steigende Einstiegsgehälter und Wechselprämien, dass das Gehaltsgefüge obsolet wird. Aktuelle Mitarbeiter werden kündigen, um zu höheren Gehältern wieder anderweitig einzusteigen. Aufträge müssen mangels qualifizierter Mitarbeiter abgelehnt werden, Margen sinken, die Wettbewerbsfähigkeit ebenfalls.

? Es gibt auch die These, dass der Fachkräftemangel in Deutschland langfristig gar nicht so gravierend sein werde, weil ein schrumpfende Gesellschaft auch zu einer schrumpfenden Wirtschaft und damit zu einem sinkenden Bedarf an Arbeitskräften generell und Fachkräften im besonderen führe. Was halten Sie von dieser These?

Wolfgang Brickwedde: Nicht sonderlich viel. Man könnte meinen, dass der inländische Konsum bei sinkender Bevölkerung auch abnehmen wird. Der Anteil der älteren Menschen in Deutschland wird allerdings stetig steigen. Damit einher geht im Allgemeinen auch eine höheres verfügbares Einkommen. Dies kann auch zu einer steigenden inländischen Nachfrage führen. Darüber hinaus ist  Deutschland eine Exportnation, die hochwertige Güter für die ganze Welt produziert. Hier ergeben sich durch die wachsende Nachfrage aus den Schwellenländern erhöhte Nachfragen nach kompetentem Personal, also Fachkräften. Ich kann die These daher nicht ganz nachvollziehen.

? Kann es das Personalmanagement bzw. die Wirtschaft aus eigener Kraft schaffen, dem Fachkräftemangel zu begegnen, oder sind Maßnahmen anderer gesellschaftlicher Kräfte; insbesondere der Politik notwendig?

Wolfgang Brickwedde: Einzelne Unternehmen können für sich gesehen eine Menge erfolgversprechender Maßnahmen durchführen. Gesamtwirtschaftlich gesehen handelt es sich dabei aber um ein Null-Summen-Spiel, denn die Fachkräfte, die das eine Unternehmen dank innovativer Rekrutierungsmaßnahmen trotz eines gesellschaftsweiten Mangels an Arbeitskräften gewinnt, fehlen letztlich natürlich anderen Unternehmen, in den sich die Auswirkungen des Mangels damit verstärken. Ich begrüße daher auch umfassendere Maßnahmen. Dazu gehört zum Beispiel der von der Bundesagentur für Arbeit zu Beginn des Jahres 2011 vorgestellte 10 Punkte-Plan zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. Interessant finde ich, dass die Bundesagentur konkrete Zahlen nennt, welche Stellhebel welche zusätzliche Fachkräfte erwarte lassen. Die Wirtschaft kann Teile des von der BA vorgeschlagenen 10 Punkte Planes gegen Fachkräftemangel unterstützen und umsetzen. Insbesondere kommen dabei die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen, Senkung der Abbrecherquote und die aktive Nutzung von Zuwanderern in Frage. Andere Punkte sind eher Handlungsfelder der Politik.

? Was können, was sollten Personalmanager ungeachtet der Aktivitäten anderer Institutionen schon bzw. spätestens jetzt tun, um sich und Ihr Unternehmen auf den Fachkräftemangel vorzubereiten?

Wolfgang Brickwedde: Neben der Fortbildung, Arbeitsverlängerung und Flexibilitätserhöhung der bestehenden Mannschaft gibt es einige grundsätzliche Aktionsfelder für Unternehmen, um Talentlücken mittels demografiegerechter Personalbeschaffung zu schließen.

Dazu gibt es eine ganze Menge von Ansätzen; für ganz besonders bedeutsam halte ich dabei aber etwas, das ich als "Nicht-gefunden-werden-Syndrom" bezeichnen möchte: In Zeiten des beginnenden Fachkräftemangels muss ein Unternehmen sicherstellen, dass seine Stellenausschreibungen auch gefunden werden; und zwar auf der jeweiligen ersten Seite, wenn man beispielsweise an einer Suche über "Google" oder in Jobbörsen denkt (die zweite Seite wird nur noch von 20% der User gelesen). Der Aufwand für eine optimierte Auffindbarkeit mag zwar vielleicht doppelt so hoch wie eine normale Stellenanzeige sein, kann aber leicht 50 mal so viele potentielle Bewerber generieren. Darüber hinaus können auch bei den Bezeichnungen der Stellenausschreibungen Verbesserungspotentiale genutzt werden. Kurz gesagt, zehn Minuten mehr Zeit in das Nachdenken über die richtigen fünf Worte in der Headline der Stellenanzeige investiert, bringen auch schon deutlich mehr Bewerber.

Auch muss meines Erachtens das Recruitment insgesamt neu konzipiert werden. War die Rekrutierung der letzten Jahre vor allem auf Bewerberauswahl ausgelegt, gilt es nun zunehmend, Bewerbern den berühmten "roten Teppich" auszurollen. Statt Massenselektion sind neue Formen der Ansprache gefragt. Das bedeutet unter anderem, nicht mehr ausschließlich auf den Eingang der Bewerbungsunterlagen zu warten, sondern aktiv auf potentielle Bewerber zuzugehen - nicht nur auf die aktiv suchenden, sondern auch auf diejenigen, die latent wechselbereit sind. Damit vergrößern Unternehmen ihren erreichbaren Talentpool. Statt nur Anzeigen (Print oder Online) zu schalten (damit erreichen sie nur 15 bis 20 Prozent des Arbeitsmarktes) und auf den Bewerbereingang zu warten, sollten sie aktiv auf Bewerber zugehen. Mit diesem Angang können Unternehmen ohne weiteres ihren erreichbaren Talentpool verdreifachen!

Unternehmen sollten jetzt zudem beginnen, Talent-Communities aufzubauen, aus denen sie in Zukunft schöpfen können. Sehr gute Erfahrungen habe ich dabei mit Mitarbeiter-Empfehlungsprogrammen gemacht, die, gut gemacht, ein Stellenbesetzungsanteil von bis zu 50 bis 60 Prozent bringen können.

Unternehmen können auch neue Talentgruppen erschließen: Männer und Frauen, Silberschläfen und Grünschnäbel, Einheimische und Zuwanderer, Wiedereinsteiger und Menschen mit Handicaps: Die Mannschaft mischen macht's!

Zudem leiden viele Unternehmen auch an dem "Nicht-beliebt-sein-Syndrom", bei dem es um Arbeitgeberattraktivität geht. Nach wie vor und in Zukunft wahrscheinlich zunehmend entscheiden sich Bewerber bei ansonsten gleichen Bedingungen für Unternehmen, die sie kennen. Also müssen weniger bekannte Unternehmen in ihren Bekanntheitsgrad investieren, um langfristig im Wettbewerb wahrgenommen zu werden. Ich kann Unternehmen nur raten: Werden Sie ein Talent-Magnet!

Erhöhen Sie Ihre Attraktivität als Arbeitgeber durch eine Steigerung Ihrer Arbeitgeberqualität und einer Verbesserung Ihres Arbeitgeberimages. Werden Sie sich zunächst klar darüber, was Sie als Unternehmen ausmacht und was das Arbeiten in ihrem Unternehmen von dem bei der Konkurrenz unterscheidet.  Finden Sie heraus, was Ihre Zielgruppe von einem Arbeitgeber erwartet und prüfen Sie, was sie davon authentisch anbieten können und kommunizieren sie dies an Ihre Zielgruppe.

? Könnte die neue Stufe der Freizügigkeit auf dem EU-Arbeitsmarkt zum 01.05.2011 dazu beitragen, dem aktuellen Fachkräftemangel zumindest teilweise zu begegnen?

Wolfgang Brickwedde: Ich schließe mich hier der Studie der Bundesagentur für Arbeit an, die in der neuen Stufe ein Lückenschließungspotential von etwa 10 Prozent sieht. Allerdings gibt es viele Hürden jenseits der gesetzlichen Voraussetzungen. Das betrifft z.B. die fachliche Qualifikation der Bewerber, aber auch ihre Wechselbereitschaft. So sind etwa in Spanien fast 50 Prozent der Jugendlichen arbeitslos. Die Bereitschaft, um des Geldes willen (in Deutschland könnten sie das Doppelte verdienen) in eine anderes Land auszuwandern, ist hier aber gering. Worauf Arbeitgeber bei potentiellen "Anwerbeaktionen" allerdings achten sollten, sind die Unterschiede pro Land in der Frage, was einen attraktiven Arbeitgeber ausmacht. Was in Deutschland wichtig ist, hat in anderen Ländern eine andere Wichtigkeitsreihenfolge. Insofern gilt das alte Sprichwort auch ab dem 01.05.2011: "Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler." So wird beispielsweise von englischen Arbeitnehmern eine private Sozialversicherung wesentlich attraktiver bewertet als von ihren deutschen Kollegen.

Zudem stehen die deutschen Unternehmen auch in Konkurrenz zu Unternehmen anderer Länder. Und auch in Osteuropa stellt sich die Situation längst nicht mehr so dar, dass dort Massen von Fachkräften nur darauf warten, endlich in Deutschland arbeiten zu dürfen. In Prag herrscht z.B. eine Arbeitslosenquote von nur zwei Prozent, also Vollbeschäftigung. Und auch die Gehaltsunterschiede zwischen Ost- und Westeuropa sind nicht mehr so groß wie vielleicht noch vor zehn Jahren.

Ich betrachte das Potenzial der erweiterten Freizügigkeit zur Behebung des Fachkräftemangels daher nicht mit der größten Euphorie.

? Zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft: Was glauben sie, wie sehr das Thema Fachkräftemangel Personalmanager in etwa 10 Jahren beschäftigen wird?

Wolfgang Brickwedde: Ich bin sicher, dass sich die Problematik bis dahin noch weiter verschärfen wird. Aus demografischer Sicht ist frühestens in 20 bis 30 Jahren mit einer leichten Entschärfung zu rechnen. Die Unternehmen, die jetzt dabei zögern, sich auf diese Herausforderung vorzubereiten, werden dies in 10 Jahren bitter bereuen.

Das Interview führte Sascha Jussen, Fachreferent Online-Redaktion (DGFP e.V.).





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